1. Jahrhundert Ansichten und Wirken von Jesus aus Nazareth in Judäa bzw. Galiläa bis 26 – 36 AD

In den christlichen Kirchen wird auch heute - soweit sich die Kirche theologisch präsentiert - der Mensch Jesus, der die Tradition des neuen Testaments und der entsprechenden Organisationen doch begründet hat, als historische Gestalt nicht ernst genommen, d.h. als wirklich geschichtlicher Mensch, mit außergewöhnlichen Stärken. In den Evangelien-Texten - auf diese von Menschen in der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts hergestellten Quellen bleiben wir verwiesen, aus denen z.B. die Jugendzeit Jesu nahezu (Vgl. den Bericht bei Lukas 2,42 ff, wie Jesus den Lehrern zuhört) ausgeblendet bleibt - werden Äußerungen und Vorgänge überliefert, die jedenfalls in unseren kontemporären Gemeinwesen mit demokratischer Tradition und Meinungsfreiheit nicht jenseits kritischer Betrachtung stehen. Jesus spricht vom Erwürgen seiner Feinde (Lukas 19,27) und vom Zermalmen (Matth. 21, 44) Er warnt, sich vor den Schriftgelehrten zu hüten.(Lukas 20,46)(Matth. 23,2 ff.)(Lukas 11,37 ff) Kennt er sie alle? Hat er doch von ihnen gelernt und seine Kenntnisse über die Propheten z.B. dadurch erhalten, daß sie in langer Tradition Schriften überliefert haben. "... so ist mein Gericht recht; denn ich bin nicht allein ..." (Joh. 8,16) Sein Urteil jedenfalls über die Schriftgelehrten ist ungerecht. Niemand komme zum Vater - also Gott - denn durch mich. (Joh. 14,6) Jesus kann aber nur die jüdische Religion kennen und z.B. noch nicht den Islam. Die Juden sagen: wir haben einen Vater - Gott. Jesus: Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, der ist ein Mörder von Anfang. Weil sie ihm nicht glauben, sind sie nicht von Gott. (Joh. 8,44) In den Legenden - den Berichten über Wundertaten - findet sich eine Verwandlung von Wasser in Wein (Joh. 2, 1 ff), die geeignet ist, die mit dem Ergebnis Beschenkten betrunken zu machen. Eine Methode, Autorität aufzubauen, die zwar lokales und zeitgeschichtliches Kolorit verrät, aber Menschen mit Lebensgewohnheiten ohne Alkoholgenuß (z.B. Muslime und andre mit zu respektierenden Gründen) nie überzeugen wird. (Vgl. Christine Schirrmacher, Das Alkoholverbot im Islam, Wetzlar 2003) Weitere Wundertaten etc. mag jeder glauben oder nicht. Die Ebene der Argumentation ist vorgegeben, wenn Schriftgelehrte - gleich welcher Religion - von Menschen geschriebene Texte unter Verweis auf Gott zum Dogma erheben. Ich erfasse das, worüber im neuen Testament berichtet wird, gerade nicht, wenn ich jede Äußerung als Wort Gottes und die sich Äußernden als unfehlbar hinstelle. Dann bringe ich es nur zum Nachplappern, allerdings mit entsprechenden Folgen, siehe z.B. die Geschichte der Kolonisierung Südamerikas.

Auch was weitere Ansichten von Jesus betrifft, konnte er er (wie die Menschen seiner Zeit) nicht über die Schranken der Zeit hinaus. Wenn er auf die soziale Wirklichkeit - soweit es sich um den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß handelt - zu sprechen kommt, die soziale Gliederung und die Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse seiner Zeit und Region, wird die Schranke seiner Epoche deutlich. Der sozialen Gliederung seiner Zeit steht er völlig begriffslos - soweit in den Texten dokumentiert, und dies sicher mit der Absicht, seine Stärken zu zeigen - gegenüber.

Das Himmelreich gleiche einem Hausvater, der am Morgen ausgehe, Arbeiter zu mieten für einen Groschen zum Tagelohn in seinem Weinberg. (Matth. 20,1 ff.) Gegen Kritik am Arbeitslohn verschieden bezahlter Arbeiter wird die Freiwilligkeit des Arbeitsvertrages hervorgekehrt. Daß eigentumslose Tagelöhner gezwungen sind, um arbeiten und leben zu dürfen, jede eventuell auch noch so geringfügige Entlohnung hinzunehmen, wird durch das Gleichnis zur Verheißung einer nicht irdischen Welt. Daß in der sozialen Wirklichkeit schlecht Bezahlte vielleicht auch noch verspottet werden unter Hinweis auf ihre Eigentumslosigkeit, daher Abhängigkeit und Machtlosigkeit, wird - indem diese Wirklichkeit dem Gleichnis tatsächlich unterliegt - mit dem Wechsel der Ebene, die bei den Gleichnissen stets schon vorauszusehen ist, nicht aus der Welt geschafft und führt zu der Frage, warum dem Erzähler kein besserer sozialer Vorgang eingefallen ist, um die Begrenztheit der Macht der Menschen über ihr Leben (also die natürlichen und sozialen Gesetze ihres Daseins) zu demonstrieren und warum er überhaupt die Ebene wechselt. Denn er will unzweifelhaft, was den individuellen Reproduktionsprozeß der Menschen betrifft, die soziale Wirklichkeit, das irdische Leben seiner Zeit und Region beeinflussen mit seinen Aufforderungen zum Handeln oder zum Unterlassen, z.B. an eine Ehebrecherin: "Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr." (Joh. 7,11) Das Verhältnis der Tagelöhner zum Eigentümer ist aber kein Naturverhältnis, auch wenn es als Produktionsverhältnis vorgefunden und nicht willkürlich ist.

In seinem Tun und Reden geht es nicht um eine philosophische Betrachtung, denn sein Wirken ist wie die praktisch gewordene spätere Philosophiekritik - in der Praxis muß sich die Diesseitigkeit, die Wirklichkeit des Denkens beweisen. (Vgl. Marx, Thesen über Feuerbach) Wir Späteren müssen uns aber fragen, was es mit der Naivetät gegenüber den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, also auch der sozialen Gliederung der Zeit und der Verewigung von Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen auf sich hat. Ausgerechnet der reiche Weingärtner, der viele Tagelöhner beschäftigen kann, muß um seinen Einzug ins Himmelreich bangen. Denn es sei leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe denn daß ein Reicher ins Reich Gottes komme. (Markus 10,25)(Matth. 19,24) "Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. .. Aber dagegen weh euch Reichen! Denn ihr habt euren Trost dahin." Lukas 6, 20 und 24) Die Ahnung eines nicht lösbaren Problems der Zeit führt zu der Konsequenz: "Ihr könnt nicht Gott samt dem Mammon dienen." (Lukas 16,13) Die Dinge fallen also gänzlich auseinander. Daß Reichtum nicht mehr in den gegensätzlichen Formen sondern als Reichtum wirklicher gesellschaftlicher Beziehungen existieren und dann verallgemeinert werden kann, kann Jesus nicht entwickeln.

Jesus erhebt Anspruch auf Wahrheit. Diese muß doch für alle gelten. Er schränkt ein, wer in das Reich Gottes gelangen kann (z.B. Lukas 13,24 ff). Warum? Er will doch im tatsächlichen, praktischen Leben wirken und dieses ist unteilbar. Wenn er darauf verzichten würde, im wirklichen Leben die Neuerung zu etablieren und d.h. allgemein zu machen, hätte er doch nur gespalten. Er ahnt, daß für die von ihm vertretene Ansicht - die Einsicht, für andre nur ein andrer zu sein, aus der das Gebot der Nächstenliebe und der Gewaltlosigkeit folgt und die Einheit von Wort und Tat - die Voraussetzungen erst noch zu schaffen sind und sie nur unter Opfern umzusetzen sein wird. Diese von Jesus zu Beginn des Jahrhunderts vertetene Ansicht wurde schon zuvor in der später vom Römischen Reich eroberten und unterjochten Region von Rabbinern und Lehrern vertreten wie insbesondere von Hillel, der die Nächstenliebe und Gewaltlosigkeit lehrte und zahlreiche bekannte Schüler hatte.

Er kann zu seiner Zeit nicht bewußt unterscheiden zwischen individueller und gesellschaftlicher Reproduktion. Die Verhältnisse der letzteren so zu verändern, daß wir Menschen zu Herren unserer eigenen Vergesellschaftung werden, ist zu seiner Zeit eine nicht gestellte Aufgabe. So sagt er in der Situation, in der von ihm Angegriffene etwas gegen ihn in die Hand bekommen möchten und Vorwände zu seiner Verfolgung und Bloßstellung suchen: "So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" (Lukas 20,25)



Das jeweilige Verständnis der Gegenwart bedingt unser Verständnis der Vergangenheit und dabei, worauf sich die Aufmerksamkeit richtet. Die Einsichten in den naturgeschichtlichen Prozeß, der z.B. unserer Erdgeschichte vorausging, lassen sich nicht aus der gesellschaftlichen Bewegung ableiten. Nur insoweit gibt es hier einen Zusammenhang, als die Schlußlogik - bei der gedanklichen Verarbeitung der Erscheinungen und Fakten - und daher jede wissenschaftlich ernsthafte Darstellung (z.B. im Unterschied zu mythologischen Darstellungen, die überhaupt nicht gering zu achten sind) und Theoriebildung aus dem gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß mit seiner Entwicklung der Sprache(n) stammt. Und daher ist auch sinnvollerweise zu fragen, auf welcher historischen Entwicklungsstufe natur- und gesellschaftswissenschaftliche Einsichten und Beweisführungen entstehen. Menschliche Gleichheit war z.B. zur Zeit des Aristoteles unvorstellbar. Denn die griechische Gesellschaft seiner Zeit hatte die Ungleichheit der Menschen und ihrer Arbeitskräfte zur Naturbasis. Diese Ungleichheit - die Existenz unmittelbarer Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse - bildet eine historische Schranke bei seiner Analyse der Wertform.